Warum ist diese paradiesische Insel so authentisch, so ruhig und vergleichsweise wenig touristisch? Und warum ist dieser Fleck Land so anders als der Rest Japans? Bereits an Tag zwei auf Okinawa drängen sich uns diese Fragen auf. Wenige Orte dieses Kalibers an landschaftlicher Schönheit können heute noch von sich behaupten ein Geheimtipp zu sein. Okinawa hingegen – so haben wir das Gefühl – will und wollte nie ein Tipp sein. Die Menschen hier sind zufrieden, genießen das Leben auf ihrer Insel im chinesischen Meer und sind – gefühlt – eher nach innen gekehrt stolz auf ihre Kultur und ihre Kulinarik. Erst nach einigen Gesprächen verstehen wir die Dimension dieses Ortes zumindest annähernd. Dieser Artikel ist deshalb nicht als Reiseführer oder sentimentale Liebeserklärung zu verstehen, sondern vielmehr der Versuch, die Faszination zu erklären, die wir nach sechs intensiven Tagen fühlen. Tage mit vielen Gesprächen (vor allem mit unserem Host Kenny und Honorarkonsul Till Weber), rustikaler Kulinarik, paradiesischen Stränden aber auch tragischen Orten, die all das Schöne manchmal bedrückend überschatten. Um Okinawa zu verstehen, muss man die Geschichte der Insel einmal aufrollen.
Die Geschichte Okinawas
Der Begriff Okinawa steht heute für unterschiedliche Dinge: Einerseits für die Präfektur Okinawa (eine Art Bundesland), zu der auch die Inseln Miyako und die Inselgruppe Yaeyama zählen. Ist von Okinawa die Rede, ist andererseits meist die Hauptinsel Okinawa-honto gemeint, deren Hauptstadt Naha ist. Dieser Artikel dreht sich vor allem um diese Hauptinsel, die wir sechs Tage lang besucht haben. Okinawa kann aber auch für die zweitgrößte Stadt der Insel stehen, die ebenfalls Okinawa heißt.
Jahrtausende der Besiedelung
Okinawa – in seiner Gesamtheit als Teil der Ryukyu-Inselkette betrachtet – steckt voller Geschichte. Teile davon sind imposant und mystisch. Andere Abschnitte – speziell die der jüngsten Vergangenheit – sind bedrückend und noch immer tief verankert im kollektiven Gedächtnis der Menschen. Doch von vorne: Die erste Besiedelung Okinawas begann bereits vor 22.000 Jahren. Belegt ist das durch den Skelett-Fund des sogenannten „Minatogawa-Manns“, der als der älteste bekannte Japaners gilt. Seine Überreste werden bis heute auf Okinawa aufbewahrt. Strukturiert dokumentiert sind die Bewegungen kleiner lokaler Stämme und Verbände dann ab dem 10. Jahrhundert. In den darauffolgenden Jahrhunderten etablierte sich ein enger Austausch und Handel mit China. 1429 wurden die unterschiedlichen lokalen Gruppierungen und Zonen zum Königreich Ryukyu vereinigt, das der Inselkette zwischen Japan und Taiwan seinen Namen gab, der bis heute Bestand hat. Ab Ende des 19. Jahrhunderts (1879) gehörte Okinawa schließlich zu Japan.
Dann kam der zweite Weltkrieg und die Eskalation zwischen Japan und den USA. Die Schlacht um Okinawa markierte eine der letzten Kriegshandlungen des zweiten Weltkriegs. Die Kämpfe forderten Hundertausende Opfer: 150.000 Bewohner Okinawas (fast die Hälfte der noch verbliebenen Zibvilbevoelkerung), 50.000 aliierte Soldaten und zwischen 85.000 und 115.000 japanische Soldaten. Insgesamt also um 300.000 Tote. Die Schwankungen bei den Angaben zu japanischen Opfern Japanern ergeben sich aus der völligen Ausloeschung der japanischen Armee in Okinawa – auch was Dokumente und Aufzeichnungen betrifft. Zu den Toten auf japanischer Seite zählten auch viele männliche Okinawaner, die eingezogen worden waren.
„Es gibt hier keine Familie, die nicht Opfer zu beklagen hatte, und jedes Jahr werden auf den Ecksteinen des Friedens weitere Namen nachgetragen,“ erzählt Professor Till Weber. Noch heute ist dieses Kapitel der Geschichte lebendig. Massengräber, Memorial Sites und Mahnmale erzeugen an vielen wunderschönen Orten tiefe Nachdenklichkeit. Das Denkmal für einen großen Massenselbstmord unter der Inselbevölkerung auf der Tokashiki-Insel der Kerama Gruppe ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie die Erinnerung an die physische wie psychische Grausamkeit dieser Zeit weiterlebt.
Okinawa und Japan – ein spezielles Verhältnis
Das Verhältnis zu den japanischen Hauptinseln, (unter Okaniwanern „Naichi“ oder „Yamato“ genannt), war nie besonders innig und hat insbesondere mit dem Ablauf der Kriegshandlungen gelitten. Aus unseren Gesprächen, die wir dort führen, lässt sich zwar kein stark ausgeprägtes Ressentiment heraushören, wir spüren jedoch eine subtil geäußerte Differenzierung: Die Japaner und wir in Okinawa – das soll nicht gleichgesetzt werden. Ganz objektiv betrachtet gibt es dafür Gründe.
Zum einen musste Okinawa als Schauplatz schwerer Kämpfe herhalten, stellvertretend für den Konflikt zwischen Japan und den USA. Diese Kriegshandlungen forderten insgesamt mehr Opfer als die beiden Atombomben auf dem Festland gemeinsam und wurden auf dem Rücken der Inselbevölkerung ausgetragen. Fakt ist ebenfalls, dass die eigene Sprache und die lokale, über Jahrtausende gewachsene Kultur seit der Übernahme japanischer Herrschaft unterdrückt wurden. Das hat Spuren hinterlassen. Es ist lokalen Initiativen zu verdanken, dass die indigene Sprache bis heute nicht ganz ausgestorben ist und eine Rückbesinnung stattfindet.
Auch die Sicht mancher Festland-Japaner auf die kleine Insel fördert nicht gerade eine gemeinsame Identität. Als wir einen Kaiseki-Koch in Kyoto nach kulinarischen Okinawa-Tipps fragen, entgegnet der nur: „Da wird’s schwer etwas Gutes zu finden.“ Das ist nur ein Beispiel, aber es zeigt, wie Teile Japans auf Okinawa blicken. Was wir Touristen als angenehm einfach, bäuerlich-rustikal und ländlich beschreiben, wird von Japanern unter Umständen belächelt. Und das, obwohl man sich auf dem Festland gerne der natürlichen Ressourcen der Insel bedient und Okinawa als Urlaubsziel schätzt.
Die Zeit der US-Besatzung bis heute
Spuren der jüngeren Geschichte Okinwas findet man nicht nur in Form abstrakter Monumente, sondern ganz real – in Gestalt riesiger US-Militätstützpunkte, die Ende des zweiten Weltkriegs auf der Insel installiert wurden und bis heute genutzt werden – immerhin auf 20% der Gesamtfläche der Insel. Nach Ende des Kriegs fiel die Insel in US-Besatzung und nachdem eine Eingliederung nach dem Vorbild Hawaiis nicht durchgesetzt werden konnte, erhielt Japan die Insel 1972 zurück – das US-Militär blieb.
„Es ist ein Dilemma,“ sagt Kenny, der Host unseres Guesthauses auf der Insel, als wir abends bei einem Bier zusammensitzen. „Ich wünschte es gäbe diese Militär-Präsenz nicht – und doch gäbe es mich ohne sie nicht.“ Sein Vater kam während des Kriegs nach Okinawa und lernte dort seine Frau – die Mutter von Kenny kennen. Zusammen siedelten sie nach Ende des Kriegs zurück in die USA, doch Kenny zog es im Jugendalter zurück in die Heimat seiner Mutter. „Als ich hier zum ersten Mal ankam, wusste ich: Es gibt eine Verbindung – das ist mein Ort.“ Mittlerweile lebt er seit über 20 Jahren auf Okinawa, mit seiner Frau Komaki und zwei Kindern. Die Fähigkeit, sowohl Japanisch als auch Englisch fließend zu sprechen, teilt er mit einer ganzen Community an Nachfahren der US-Militärs. Nach damals herrschendem Usus, lernte er als Kind die Muttersprache seiner Mutter nicht – erst später, als er sich auf Okinawa niederließ, eignete er sich Japanisch an.
Vergangenheit vor der Haustür: Vorbei an den Militärs
Okinawa hat gelernt, damit zu leben, auf indirekte Weise permanent mit der Weltkriegszeit konfrontiert zu werden. Fährt man von Naha in Richtung Norden sind die Straßen bald stacheldraht-flankiert. Über 20.000 US-Amerikaner sind hier stationiert: Darunter Soldaten der US Air Force und der Marines und Angehörige. „Auf Okinawa haben die Menschen die Fähigkeit entwickelt, zu akzeptieren – c’est la vie,“ sagt Kenny. Man habe wenig Kontakt zu den Amerikanern, meist sehe man sie nur aus der Ferne in den Camps, erzählt er. Vielleicht – so seine Theorie – falle das Akzeptieren auch deshalb leicht, weil die Insel von der japanischen Regierung hohe Subventionen erhält, schon seit Jahrzehnten. Der Grund: Die engen lokalen Verflechtungen mit den USA – das Kriegs-Vermächtnis.
Der Wohlstand schlägt sich in einer modernen Infrastruktur und vielen Arbeitsplätzen nieder. Vor allem aber – und das beeinflusst den Charme der Insel zum Positiven – war Okinawa nie abhängig vom Tourismus. An anderen Orten der Welt wäre Okinawa heute ein boomendes Touristenparadies wie Bali oder Koh Samui. Das landschaftliche Potential ist mindestens genauso hoch wie in Indonesien, Thailand oder den Malediven – doch es fehlt an der Notwendigkeit die eigene Nachbarschaft umzukrempeln, um Besucher anzulocken. Das hat Okinawa bis heute viel Authentizität bewahrt, trotz steigender Bekanntheit unter Reisenden aus aller Welt. Die fortwährende US-Präsenz – ein Fluch oder ein Segen? Die ganz klare Antwort darauf wird es vermutlich nicht geben.
Ankommen in Naha
Zum Zeitpunkt unserer Reise ist es Anfang Januar. Wir starten unsere Okinawa-Route in Naha – hier landen sowohl innerjapanische als auch internationale Flüge. Von Japan kann man Naha aus fast allen großen Städten anfliegen. „Okinawa ist sowas wie das Mallorca der Japaner“, schreibt mir Till Weber, der deutsche Honorarkonsul auf der Insel, im Vorfeld der Reise. Durch einen Podcast hatte ich den sympathischen Berliner kennen gelernt, der seit über 20 Jahren in Naha arbeitet. Warum ich ihn kontaktiert hatte? Es scheint uns bei der Planung unmöglich zu sein, einen Mietwagen auf der Insel zu buchen. Alle bekannten Autovermieter verneinen unsere Anfrage. Den Grund identifiziert Till Weber prompt: Über die Weihnachtstage fliehen viele Japaner aus der Kälte des japanischen Winters nach Okinawa, wo es im Dezember um die 20 Grad hat. Die Chancen, kurzfristig einen der ohnehin raren Mietwagen zu ergattern stehen schlecht. Am Ende klappt’s nur mit Hilfe unserer Gastgeber, die bei dieser Reise immer wieder eine entscheidende Rolle spielen werden. Deshalb gleich drei Tipps
Tipps für die Okinawa-Planung
- Kümmert euch FRÜHZEITIG um einen Mietwagen. Ohne Mietwagen macht Okinawa keinen Sinn und mit Mietwagen macht die Insel riesig Spaß. Unser Verleih war genau hier.
- Um einen Mietwagen zu buchen, braucht ihr eine offizielle Übersetzung eures Führerscheins. Der internationale Führerschein wird nicht akzeptiert. Das erledigt in Deutschland z.B. der ADAC gegen eine kleine Gebühr (unter 100 Euro). Ich habe damals einfach angerufen und mich durchgefragt. Tipp vonn Till Weber: „Viel billiger geht es bei der japanischen Botschaft und den Generalkonsulaten in Deutschland (mehrere Wochen Vorlauf). In Japan selbst dann nur noch beim Automobilverband JAF fuer knapp 25 Euro. Die Angebote um 100 Euro kommen von privaten Mittlerdiensten, die eigentliche Übersetzungsgebühr ist nur ein Viertel davon.“
- Schaut euch die Unterkunft von Kenny und Komaki an – das Akachichi Guesthouse. Kostet ungefähr 120 Euro/Nacht. Neben grandioser Lage (später mehr), gemütlichem Zimmer und einem traditionellen Frühstück, lernt ihr auf diese Weise zwei wunderbare Menschen kennen, die eure Reise im Kleinen oder Großen bereichern werden – garantiert.
Vom Flughafen Naha in die Stadt sind es keine 10 Minuten mit dem Taxi. Es bietet sich an, eine Nacht dort zu bleiben und einmal durch die Stadt zu spazieren und gut zu essen. Wir übernachten im Almont Hotel, mit kleinem Onsen-Bad im Dachgeschoss. Die Restaurantdichte ist nirgends sonst auf der Insel so hoch und es gehört irgendwie dazu, auch den Trubel der Großstadt zu spüren – auf einer Insel, die auf dem Rest der Reise vor allem durch idyllische Ländlichkeit und Langsamkeit besticht.
Tipp für ein richtig gutes Izakaya-Abendessen (eines der besten Essen der Reise):
Yoyaku Toreta: Richtig gut gemachte Okinawa-Izakaya Küche
Ein Tag auf Tokashiki Island
Ein zweiter Grund zumindest 1-2 Nächte für Naha einzuplanen, ist die Nähe zu den Kerama-Islands. Die Gruppe aus kleinen Inseln hält jene Strände bereit, die bei jeder Okinawa Bildersuche ganz oben erscheinen. Türkisblaues Wasser, Strände aus weißem Korallenbruch und drumherum dschungelartige Fauna. Die Speed-Ferrys fahren auch in der Nebensaison zumindest einmal am Tag. Wir entscheiden uns für die größte der Kerama-Inseln „Tokashiki Island“ und setzen um 9 Uhr morgens über. Die 35 Minuten Fahrt sind ein wilder Ritt über ein aufbrausendes Meer und als wir um kurz nach halb 10 anlegen, bläst uns ein kräftiger Wind entgegen. Wir ziehen erstmal unsere Jacken an und suchen einen Rollerverleih, denn die Insel ist zu groß, um sie komplett zu Fuß zu erkunden. Erkenntnis: Alle Verleihe haben aufgrund mangelnden Touristenaufkommens während der Feiertage geschlossen. Kurz bevor wir zu einer ausgedehnten Wanderung ansetzen, treffen wir einen netten Local, der uns mitnimmt auf die andere Seite der Insel. Was für ein schöner Start!
Südsee-Paradies – fast für uns alleine
Als wir den kleinen „Inselpass“ überfahren, ändert sich die Szenerie schlagartig. Windstille und Sonne. Binnen Minuten kriecht die Wärme durch unsere Jacken und beschert zum ersten Mal seit Monaten sowas wie Sonnen-Schweißperlen auf der Stirn. Der Aharen-Beach, an dem wir landen, ist sowas wie der Hauptstrand der Insel. Wir teilen ihn uns mit vier anderen Touristen – aber vielleicht sind es auch Einheimische. Es ist fast schon surreal wenig los, an einem der schönsten Orte, die ich jemals gesehen habe. Dieses Urteil manifestiert sich endgültig, als wir vom nahegelegenen Aussichtsturm einmal über die gesamte Bucht und winzige vorgelagerte Inseln blicken. Das Besondere: Außer einem kleinen Campingplatz und zwei Tauchschulen ist hier keine touristische Infrastruktur zu erkennen. Mag sein, dass sich das im Hochsommer ändert. Aber für uns ist das hier schon Sommer genug, nach zwei Wochen kaltem Festland-Japan.
Kerama: Muscheln soweit das Auge reicht
Wir suchen uns einen kleinen Seiten-Strand und lassen uns dort nieder. Strand bedeutet in diesem Fall nicht einfach nur Sand, sondern auch Millionen von Muschel- und Korallenstücken. Wir verlieren uns regelrecht im Durchstöbern des Strandabschnitts – Terese kann gar nicht mehr aufhören und präsentiert im Muschelrausch minütlich neue Funde, die wir wie Meeresbiologen analysieren und immer zu einem (für uns) schlüssigen Ergebnis kommen. Als gegen Mittag der Wind auffrischt und Wolken aufziehen, schlendern wir in ein nahegelegenes Restaurant und beschließen, den Heimweg zu nutzen, um eine andere Straße zurückzuwandern.
Eine goldrichtige Entscheidung. So erleben wir neben den spektakulären Stränden auch die wildere Seite der Insel auf einer etwa zweistündigen Wanderung zurück zum Hafen auf der wir lediglich zwei Menschen und ein Auto treffen. Neue Ausblicke hinter jeder Kurve und dazwischen Urwald. Immer wieder passieren wir kleine Mahnmale, die wir notdürftig mit unserer App übersetzen. Was wir lesen, genügt jedoch, um zu verstehen: Diese Insel war einst Schauplatz großen Weltkriegs-Leids. 500 Menschen nahmen sich hier gemeinsam das Leben, um zu verhindern, dass die nahenden feindlichen Streitkräfte ihnen brisante Informationen entlocken könnten.
Tipps für Tokashiki Island
- Wer die Kerama-Islands in der Nebensaison besucht, sollte lieber direkt nach Ankunft im Hafen den Bus nehmen, als einen Rollerverleih zu suchen. Die Busse verkehren nur selten und wer dann nicht zur Stelle ist, muss wandern. Das kann allerdings auch schön sein (wenn man zumindest einen Teil der Strecke gefahren wird).
- Wer sich durch das Dickicht zwischen den Stränden schlägt, sollte zumindest mal gehört haben, dass auf ganz Okinawa die Habu-Schlange heimisch ist, deren Biss potenziell tödlich ist (wenn auch selten). Es gibt jedoch ein Gegengift und Todesfälle kommen deshalb kaum noch vor. Zur Dezimierung der Spezies hat sicher beigetragen, dass eine makabere, für Touristen geschaffene Abwandlung des Awamori-Schnaps‘ auf der Insel mit einer darin eingelegten Habu-Schlange verkauft wird. Einordnung von Till Weber: “ Diesen Habu-shu gibt es speziell nur für Touristen, kein Okinawaner würde sich sowas für viel Geld kaufen. Übrigens, eine tote Habu bringt heute 5000 Yen, wenn die Haut intakt ist. Sie wird zum Beziehen von Sanshin (Okinawa-Lauten) benutzt.“
- Neben Tokashiki kann man auch Zamami-Island oder Aka Island besuchen. Ich denke, dass die Inseln sich nicht allzu stark unterscheiden. Aka Island ist für seine inseleigene Zweghirsch-Population bekannt, der man dort wahrscheinlich auch begegnen wird. (Sicher süß & nicht gefährlich). Der große Vorteil von Aka und Zamami ist, dass alles fußläufig ist, und man nicht Kilometer fahren oder laufen muss wie auf Tokashiki. Das führt jedoch dazu, dass die kleinen Inseln gerade im Sommer deutlich gefüllter wirken als Tokashiki.
- Tipp von Till Weber: „Wenn man auf die Übernachtung auf den Inseln verzichtet, hat man nur einige wenige Stunden zwischen Ankunft der ersten Fähre am Vormittag und der Abfahrt der letzten am Nachmittag. Das reicht natürlich für ein Stranderlebnis, aber dann entgeht einem z.B. der unfassliche Sternenhimmel am Abend.“
Von Naha Richtung Norden
Von nun an bieten sich auf Okinawa unterschiedlichste Optionen, von denen wir an dieser Stelle lediglich unsere Route beschreiben. Wir waren zum Beispiel nicht südlich von Naha, wo man viele Gedenksttätten und alte Burgruinen findet. Auch in den dicht bewaldeten und bergigen Norden der Insel haben wir es nicht geschafft. Dennoch sei vorab gesagt: Nach unserer knappen Woche auf Okinawa habe ich nicht das Gefühl, wir hätten etwas Entscheidendes verpasst.
Das Akachichi Guesthouse
Schon weit im Voraus haben wir für den Okinawa-Trip das Akachichi Guesthouse als Basecamp gebucht. Das erweist sich als absoluter Glücksgriff – fast schon eine Art Fügung. Bei der Buchung war mir zwar bewusst, dass uns ein gemütliches Zimmer mit tollem Frühstück erwartet. Eine Reihe weiterer Annehmlichkeiten und Bereicherungen für die Reise wird uns jedoch erst bei der Ankunft bewusst.
Mit unserem Host Kenny bin ich schon Wochen vorher in Kontakt – wegen der Mietwagen-Sache. Er erkundigt sich im Ort und bucht für uns einen Wagen bei einer kleinen Vermietung, die wir selbst im Netz nie gefunden hätten. Sein Englisch ist unglaublich gut – ich werden bald verstehen, warum. Wir nehmen also den Local Bus 120 von Naha nach Kuraha, wo uns Kenny dankenswerterweise abholt. Ein extrem liebenswerter Mensch – das wird uns schon nach wenigen Minuten klar. Er ist Halb-Amerikaner und spricht perfektes Englisch. Schon auf der Fahrt vom Bus zur Unterkunft löchern wir ihn mit Fragen. Es tut gut, nach zwei Wochen Baby-Englisch und (wenn überhaupt) sehr zweckmäßiger Kommunikation ein richtiges Gespräch zu führen. Und es haben sich jede Menge Fragen aufgestaut. Über das Land, die Insel, das Essen und das Alltagsleben. Kenny ist sehr geduldig und gleichzeitig interessiert an unseren Sichtweisen. Dass er Autor eines Okinawa-Reiseführers ist und oben auf der kleinen Anhöhe beim Dorf eine eigene Mini-Farm mit Hühnern und Ananas-Plantage betreibt, macht die Aussicht auf Austausch mit ihm nicht weniger spannend.
Akachichi: Ein Ort der Geborgenheit
Es werden sehr gesprächsreiche Tage im Akachichi Guesthouse, was den Aufenthalt dort enorm bereichert. Kenny und seine japanische Frau Komaki verstehen ihr Guesthouse auch als Ort der Begegnung. Wer will, kann hier Freunde finden. Wer seine Ruhe will, findet auch die. Wir freuen uns über die Bekanntschaft und kosten das Kontakt-Angebot voll aus. Das führt am Ende sogar dazu, dass wir uns auf einer japanischen Grillparty bei den Nachbarn wiederfinden. Wir hämmern Reis zu Mochi, verkosten gegrilltes Fleisch und sitzen bis zum Einbruch der Dunkelheit im Wohnzimmer der Nachbarn bei geschmorten Schweinefüßen, Kombu-Eintopf, Sashimi und Erdnusstofu. Kenny übersetzt zwischen den Nationen und so kann auch zwischen Deutschen und Japanern am Tisch ein kleiner Austausch stattfinden. Das Wichtigste aber ist das gemeinsame Essen. „Oishi“ heißt lecker. Und das kann man sehr oft sagen, ohne sich zu wiederholen.
Morgens serviert Komaki uns traditionell japanisches Frühstück – das wahrscheinlich beste Frühstück der Reise. Schon an Tag eins freue ich mich auf drei weitere dieser Frühstücke. Wir sitzen bei 16 Grad auf der von Tropenpflanzen umrankten Terrasse und ziehen ganz verwegen sogar die Jacken aus. Es ist herrlich. Wir fühlen uns zum ersten Mal nicht nur wohl, sondern verwöhnt und geborgen. Das Akachichi Guesthouse ist ein besonderer Ort – und auch wenn Okinawa selbst kein heißer Reisetipp werden möchte: Diesem Bed & Breakfast wünsche ich genau das von Herzen.
Cap Maeda
Das Akachichi Guesthouse liegt etwa 400 Meter von der Küste entfernt in einer kleinen Siedlung. Zu Fuß erreicht man die Klippen und Strände in 5-10 Minuten. Und auch hier dasselbe Bild wie schon auf Tokashiki Island: Kaum bevölkerte Traumstrände und schroffe Felsformationen, die wir in ausgedehnten Spaziergängen erkunden. Das Beste kommt aber noch: Direkt vom Strand stolpert man in ein wunderschönes Korallenriff hinein. Wir organisieren uns (bzw. Kenny organisiert uns) Neoprenanzüge und Taucherbrillen, sodass wir trotz 19 Grad kühlem Wasser das Riff erkunden können. Bereits im seichten Wasser (Brusthöhe) eröffnet sich beim Untertauchen eine bunte Welt, wie ich sie nicht einmal in Thailand oder Indonesien gesehen habe. Intakte Korallen, Fische zwischen Smaragdblau und Quietsch-Pink – von winzig klein bis meterlang.
Als einzige kleine Einschränkung muss ich gestehen: Ich bin kein Taucher und habe die Welt Unterwasser auf Reisen bisher nur schnorchelnd erkundet. Doch auch für Taucher – so sagt man hier – muss Okinawa ein Ausnahme-Ort sein. Für uns reicht schon das kleine „Hausriff“, um nach 90 Minuten überwältigt aus dem Wasser zu steigen. Wir sind so beeindruckt, dass wir beschließen, uns aus den Neoprenanzügen zu schälen, einmal heiß zu duschen und den Rest des Tages einfach nur im schönen Zimmer zu entspannen. Mehr muss ein Tag nicht liefern, um zum Highlight zu werden.
Kuori Island & Najikin Castle
Einen weiteren Tag reservieren wir uns, um den Norden der Insel zu erkunden. Kenny skizziert uns eine sinnvolle Tagesroute, die wir ohne Stress in 6 Stunden schaffen. Wir starten in Richtung Kuori Island und überqueren die neu gebaute Brücke, die Okinawa-Festland mit der Insel verbindet. Ein knapper Kilometer über türkisblauem Wasser. Dann: Eine Mini-Runde um die Insel mit kurzem Halt an einer Felsformation, die wie ein Herz geformt ist. Wir parken eher unabsichtlich eine Straße weiter und schlagen uns durch einen Trampelpfad zwischen Zuckerrohr hinab zu den Felsen. Belohnt werden wir mit einem exklusiven Plätzchen und Blick auf den kleinen Strand, der zum ersten Mal wirklich prall gefüllt ist mit fotografierenden Touristen. Nach all den überwältigenden Ausblicken braucht’s dieses steinerne Herz nicht wirklich, denken wir uns. Wir genießen stattdessen die wilde Brandung zu unseren Füßen.
Ausgestattet mit einer fetten Box Supermarkt-Sushi fahren wir weiter zu Najikin Castle und picknicken vor dem Auto. Die Burgruine ist in ihren Grundstrukturen noch erhalten und erstreckt sich über ein erstaunlich weites Areal auf einer Anhöhe. Erst als wir den höchsten Punkt der ehemals bedeutsamen Festung erklommen haben, erschließt sich uns die spezielle Lage vollends. Die Burg ist direkt an die Klippe zu einem tiefen Tal gebaut, gemauert aus meterdicken Steinen. Dazwischen schmiegen sich gelb-grüne Grasflächen. Auch ohne die genaue Geschichte des Ortes zu kennen, ist die schiere Größe der Anlage respekteinflößend. Auf der einen Seite der Blick auf den Ozean Richtung Philippinen. Auf der anderen Seite steinerne Ruinen, die mich in ihrer terrassenförmigen Anordnung an Machu Picchu erinnern. Ein lohnender Stopp. Direkt am Ausgang kaufen wir uns einen frisch gepressten Zuckerrohrsaft in einem alten Teehaus. Auch das wirkt wenig touristisch. Zuckerrohr ist das wichtigste landwirtschaftliche Produkt der Insel.
Kulinarik in Okinawa
Zuckerrohr ist ein guter Einstiegspunkt in die Kulinarik Okinawas. Die Insel lebt in erheblichem Maße von Landwirtschaft. Was früher der Reis war, ist heute Zuckerrohr, das zu braunem Zucker verarbeitet wird. Touristisch genutzt und vermarktet wird dieses Produkt jedoch kaum. Besonders stolz sind die Menschen auf ihr sonnengereiftes Obst und Gemüse. Auch in anderen Teilen Japans wird „grown in Okinawa“ gerne als Qualitätsmerkmal verwendet. Daraus hat sich eine Inselküche entwickelt, die sich grundlegend von der Festlandküche unterscheidet. Sie ist weniger subtil und feingliedrig, wie beispielsweise die Kaiseki-Hochküche. Stattdessen ist sie geprägt von einer pragmatischen Verwertung der verfügbaren Zutaten mit einer gewissen Rustikalität. Das ist nicht abwertend gemeint. Geschmorte Schweinefüße sind nunmal der Gegenpol zu einer vergleichsweise fragil wirkenden Teezeremonie. Allein deshalb freue ich mich, auch diese Spielart japanischer Küche zu erleben. Sie ergänzt das bis dato entstandene Gesamtbild um eine herrlich zupackende Lokalküche. Hier einige Beispiele:
Goya Champuru
Die Bittermelone ist das Symbol für die wilde kulinarische Seite Okinawas. Sie wird meist als „Champuru“ serviert, ein Pfannengericht, das mit Tofu, Ei und Zwiebeln serviert wird. Goya hat einen faszinierenden Geschmack. Zuerst frisch und gurkenähnlich, dann plötzlich mit starken Bitternoten, die jedoch in dem Moment abklingen, in dem man glaubt: Jetzt wird’s zu viel.
Umibudo / Sea Grapes
Eine Algenart, die in ihrer Textur an Kaviar erinnert: An den dünnen Armen der Alge sind kleine Perlen aufgereiht, die mit einer leicht salzig-jodigen Flüssigkeit gefüllt sind. Die Kügelchen platzen im Mund und schmecken in Verbindung mit einer säuerlichen Vinaigrette wunderbar frisch.
Agu – schwarze Schweine
Besonders stolz ist man auf Okinawa auf sein Agu – das Fleisch der inseleigenen schwarzen Schweine. Ich habe zwar nie eins live zu Gesicht bekommen, doch das Fleisch ist köstlich. Wie auch beim legendären japanischen Wagyu ist die Marmorierung der Schlüssel zum Schmelz. Viele winzige Fettadern lassen gar keine Möglichkeit zu, dieses Fleisch zu verhunzen. Nose to Tail ist hier die Devise: Rücken und Teile des Bauchs landen im Shabu Shabu. Der Rest wird geschmort, in Miso und Dashi, bis sich Knorpel und Sehnen komplett auflösen. Dann bleiben beim Ablutschen nur noch die Knochen übrig. So sieht echte Wertschätzung aus.
Sashimi – Catch of the day
Nirgends hat man’s hier weiter als ein paar Kilometer zum Meer. Natürlich steht hier Sashimi auf jeder Speisekarte – und wenn’s nur als kleiner Appetizer zum Schweinebauch ist. Einfach als Catch of the Day aufgeschnitten und mit Sojasauce gereicht. Sushi mit Reis hingegen findet man selten. Das ist eine eigene Kunstform mit Perfektionsanspruch – und zu viel Akribie würde auf Okinawa auch nichts ins Bild passen.
Awamori
Was in Festland-Japan der Sake ist, ist auf Okinawa der Awamori: Ein Schnaps, der auf Basis von Reis destilliert und mit dem Pilz Aspergillus Luchensis fermentiert wird. Einst galt der Awamori als „Fusel“ der einfachen Leute. Doch längst hat sein Aufstieg zur Edel-Spirituose à la Gin und Whiskey begonnen. Immer mehr edle Awamori-Varianten mit langen Reifezeiten kommen nun auf den Markt.
Okinawa-Soba
Anders als die auch in Europa bekannten und erhältlichen Buchweizen-Soba, werden Okinawa-Soba aus Weizenmehl hergestellt und scheinen auch eine Art Kultstatus zu genießen – zumindest wird mit viel Stolz darüber berichtet und jeder auf der Insel scheint ein Lieblings-Soba-Lokal zu haben. Wir durften in der Nachbarschaft, bei Yashimoto-san, sogar einen kleinen Soba-Making-Workshop genießen (buchbar über Akachichi) und die selbstgemachten Nudeln im Anschluss natürlich gleich verkosten. Traditionell werden sie in Wasser kurz gekocht und dann in einer Mischung aus Schweinebrühe und Dashi serviert. Dazu gibt‘s Frühlingszwiebeln, Schweinebauch und gepickelten Ingwer.
Mozuku
Etwas, das uns nur in Okinawa begegnet ist, sind hauchfein geschnittene Algen mit sehr viel Biss, die mit einer säuerlichen Dashi-Vinaigrette gegessen werden. Die Mozuku Algen gedeihen vor den Ryukyu-Inseln in 3-6 Metern Tiefe. Sie werden gekocht und mit Salz und Essig mariniert. Mozuku sind Teil unseres japanischen Frühstücks im Akachichi und begleiteten uns als kleines Nebengereicht bei nahezu jedem Essen auf der Insel.
Restaurant-Tipps für Okinawa
Schon während der Reise haben uns via Instagram viele Fragen nach Restaurant-Tipps erreicht. Dazu gebe ich immer dieselbe Antwort: Ich verlinke gerne die Orte, an denen wir gegessen haben – wir wurden nie enttäuscht. Viele davon waren Tipps von Einheimischen. Das bedeutet aber auch, dass Tausende andere Plätze uns vermutlich genauso glücklich gemacht hätten. Ich rate bei Japanreisen generell dazu: Traut euch einfach, Türen zu öffnen, die interessant aussehen. Mit einem Wifi-Hotspot und der Google Translate App ausgestattet, kann man am entlegensten Ort die Speisekarte entziffern. Und dann einfach treiben lassen, staunen und genießen. Japaner haben einen derart hohen Anspruch an ihr Essen, dass herbe Enttäuschungen kein echtes Risiko darstellen. Das gilt auch für Okinawa.
Taro – traditionelle Okinawa-Küche
Kaisen Hamanoya: Einfaches Seafood-Restaurant, beliebt bei Einheimischen
Süßes Café an der Straße nach Yomitan
Rustikales Izakaya mit sehr authentischen Gerichten (z,B. Yellowtail-Abschnitte in Miso geschmort)
Okinawa-Sehnsucht – schon jetzt
Was bleibt nach diesen sechs Tagen auf Okinawa? Ganz sicher das Gefühl von Entschleunigung. Prägend waren die vielen persönlichen Gespräche und die atemberaubende Landschaft. Diese Verbindung findet jedoch nur, wer sich bewusst gegen ein anonymes Hotelzimmer entscheidet und auf die Suche geht nach einem Homestay oder einem familiengeführten Guesthouse. So sehr ich Bali und speziell Ubud liebe – das hier ist für mich Welten entspannter und echter. Auch das Klima ist weniger tropisch und extrem. Die Tatsache, dass die Menschen sich hier nicht für Touristen verbiegen und sich dennoch freundlich und offen um sie kümmern, fühlt sich für mich derart einladend an, dass ich mir wünsche es gäbe mehr solcher Orte auf der Welt. Vor der Abreise habe ich Kenny gefragt: „Solle man den Menschen überhaupt erzählen, dass es sowas wie Okinawa gibt“? Seine Antwort: „C’est la vie. Die Dinge werden ohnehin ihren Lauf nehmen. Erzähl davon – aber bitte auf eine positive Art und Weise.“