Bedächtig lässt Ulrike Ties eine Kartoffelteigtasche nach der anderen ins heiße Fett gleiten. Die gefüllten Geschmacksbomben taumeln für einen kurzen Moment unter der Obefläche und tauchen leicht gebräunt und mit prallem Bauch wieder auf. „Vorsichtig, sie dürfen nicht aufplatzen“, sagt sie mit ladiner Akzent und hievt ein Prachtexemplar nach dem anderen ins Abtropf-Sieb. Es ist ein göttliches Bild: 12 frisch frittierte Kartoffel-Schlutzkrapfen – ihre golden gebräunte Oberfläche lässt kurz vergessen, dass ja drinnen erst der ganz große Genuss wartet: Blanchierte Brennnesseln, Bauern-Ricotta und geschmelzte Zwiebeln. Wir sind eingeladen, zu einem kleinen privaten Canci Checi – Kochkurs.
Schlutzkrapfen aus Kartoffelteig frittiert
Schlutzkrapfen sind der in Nudelteig gegossene Inbegriff Südtirols. Keine Hütte, kein Törggelen, kein Gasthaus kommt ohne die bunten Riesen-Ravioli mit hauchdünnem Nudelteig aus. Doch die Schlutzkrapfen, die wir heute genießen sind anders. Nicht bunt. Nicht gekocht. Kein Nudelteig. Stattdessen goldbraun, aus Kartoffel-Hefeteig und in heißem Fett frittiert. Warum? In Dolomitenlagen von 1500 Metern und höher ist Weizenanbau nicht möglich. Ohne Weizen kein helles Mehl, und so suchten die Ladiner schon vor langer Zeit nach einer Alternative zum bewährten Weizenmehl-Nudelteig. Fündig wurden sie bei der Kartoffel.
Basis der Canci Checi ist also ein Kartoffel-Hefeteig. Der moderne Ladiner hat heute natürlich wieder Zugang zu Weizenmehl, doch auf Kartoffeln zu verzichten wäre ein Frevel, denn die Canci Checi sind mittlerweile Teil der kulinarischen DNA des Ladins. Ulrike Ties zerdrückt zuerst eine Schüssel weich gekochter Kartoffeln zu einem feinen Stampf, der später die Basis des Teigs bildet. Dann setzt sie in einer anderen Schüssel etwas frische Hefe auf einen kleinen Berg Weizenmehl, überschüttet alles mit lauwarmem Wasser und löst die Hefe mit den Fingern kurz auf. Die Sonne brennt auf die Stufen der Steintreppe, die hinauf zur Terasse führen, der ideale Trieb-Beschleuniger für den Hefeteig-Ansatz.
Uli, die Kräuterhexe
Wir drehen in der Zwischenzeit eine Runde durch den gastronomischen Mikrokosmos von Ulrike Ties und ihrem Mann Roman. Zentrum ihres Schaffens ist die Osteria Plazores in St.Vigil. Ein altes Bauernhaus, das nur behutsam erneuert wurde und in jedem Zentimeter Geschichte und Detailliebe trägt. In der alten Stube steckt noch ein Weißheitszahn im Holz, eine Reminiszenz an einen uralten Brauch der Ladiner, um ihre Zähne zu konservieren. Das obligatorische Kruzifix hängt in der Ecke und jeder Tisch ist mit einem frisch gepflückten Strauß Wiesenblumen bestückt. Da stehen Margeriten, Süßgräser, Klee, wilde Kamille oder Schafsgarbe – Wildkräuter, deren Einsatz sich im Plazores aber längst nicht auf dekorative Zwecke beschränkt.
„Kräuterhexe“ nennt sich Ulrike Ties gerne selbst und wir verstehen die volle Bedeutung dieses Titels Minuten später. Auf dem Weg zum Stall ihrer Tuxer Rinder beginnt sie einen beeindruckenden Exkurs über die Kostbarkeiten der Dolomitenwiesen. Selbst ich – wildkräutertechnisch ja nicht ganz ahnungslos – komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Wilder Spinat, Kleeblüten, Margeriten und Schafsgarbe hatte ich allesamt noch nicht auf meinem kulinarischen Radar. Wir streifen durch den verwaisten Stall (die Tiere sind im Sommer auf der Alm) hinauf ins Heulager, solange bis mir die Pollen der Süßgräser Tränen in die Augen treiben. Ein paar Meter weiter unten warten Roman und Tommy im Kühlraum auf uns. Roman ist Ulrikes Mann, Tommy der letzte geschlachtete Stier, der nun mindestens 45 Tage trocken reift. Die Würste, das Bündnerfleisch und der Schinken nebenan reifen schon deutlich länger. Sie erinnern mit ihrer dicken, trockenen und mit Edelschimmel überzogenen Kruste an hängende Brotlaibe. Wir schneiden einen der Schinken auf – es ist ein Wahnsinn, wie viel Geschmack da drin steckt.
Ladinische Tradition – bis heute gelebt
Zurück an der Hefeteigstation. Wir mengen den Kartoffelstampf , Ei, Salz und Gewürze (wichtig: Anis!) unter, kneten bis zur völligen Homogenität und gönnen dem Teig noch einmal 10 Minuten Ruhe. Der Teig hat eine für mich noch nie erlebte Konsistenz, einen Hefeteig mit Kartoffelanteil habe ich ohnehin noch nie gegessen. Ulrike freut sich, dass wir so fasziniert auf den hellgelben Klumpen auf der Arbeitsfläche starren. „Meine Leidenschaft für mein Land, meine Tradition, meine Kultur und meine Leute kulinarisch mit anderen Menschen zu teilen, macht mir große Freude. Jeder, der sich dafür begeistert, auch nur ein bisschen, trägt ein Stück von uns hinaus in die Welt“ – das steht auf dem Rezeptbuch, das sie uns später mit nach Hause gibt.
Canci Checi kennt außerhalb des Ladins tatsächlich kaum jemand. Das sind die Momente, in denen meine Vorfreude auf die erste Geschmacksprobe ins Unermessliche steigt. Wir rollen den Teig aus, stechen Kreise aus und geben drei Füllungen hinein. Die erste aus Brennesseln, Zwiebeln und Ricotta – es ist das Originalrezept, das im Plazores seit Ewigkeiten serviert wird. Dazu zwei modernere Varianten aus Speck, Zwiebeln und Käse und die dritte mit Tomate, Mozarella und Bergbasilikum. Ulrike serviert uns nebenbei ein Glas Südtiroler Prosecco – der ist dringend nötig bei der Mittagshitze, die sich im Vorgarten des Restaurants jetzt breit gemacht hat.
Canci Checi zum Sattessen
Leicht berauscht aus den angenehmen Synergien von Alkohol und Sonne starren wir ins zischende Fett. Das Rapsöl perlt an der braunen Knusperhülle ab, der Hefeteig bläht sich auf, die Füllung schmilzt. Der erste Biss ist eine Offenbarung. Der Teig noch lauwarm, fluffig weich und gleichzeitig saftig, die Ecken knuspern leicht und das Fett schwingt selbst die dezente Brennessel auf neue Höhen. Die Dolomiten-Kulisse, in der wir dieses so ur-ladinische Teigtaschen-Mahl abhalten, gibt dem Moment etwas fast kitschig Schönes. Eine Ricotta-Panna Cotta und ein Espresso zum Dessert bringen uns wieder in Bodennähe. Mittlerweile sitzt die ganze Familie am Tisch und stibitzt die letzten Cani Cecchi vom Teller. Ein Tag, der als Kochkurs begann und für uns wie ein kleines Familienfest endet.
Ulis Rezept für die besten Canci Checi
Zutaten für den Teig
- 300g Mehl
- 1 Würfel Germ/Hefe zu 25 g
- 1 Prise Zucker
- 100 g gekochte und ausgedrückte Kartoffeln
- 100 ml lauwarmes Wasser
- 15 g Salz
- 1 Ei
- ½ Kaffeelöffel Anis oder Kümmel
- 50 ml flüssige Sahne
Zutaten für die klassische grüne Füllungmit Brennesseln
- 200 g blanchierte, ausgedrückte und passierte oder kleingehackte Brennnesseln, Guter Heinrich, Giersch oder einfach nur Spinat oder Mangold, je nach Saison
- 1 Teelöffel Butter oder etwas Olivenöl
- 1 Teelöffel fein gehackte Zwiebel oder/etwas Knoblauch, wenn man es mag
- 200 g Ricotta
- 1 Teelöffel Schnittlauch
- Salz und Pfeffer nach Geschmack
Zutaten für die „moderne Füllung“
- 250 g Frischziegenkäse
- 100 g Speck, besser, wenn es ohne Nitrate ist, denn es wird leicht erhitzt
- Wenn es nötig ist, um die Masse geschmeidiger zu machen, etwas Ricotta
- 1 Teelöffel Schmorzwiebel oder auch einfach, fein gehackte Zwiebel
- Etwas Butter oder Olivenöl für die Pfanne
- Salz, Pfeffer und Kräuter, bei mir sind es meist Wildkräuter wie Schafgarbe, Gundelrebe, Wilder Thymian ….
- Oder auch mit Majoran und Salbei mag ich das ganze sehr gerne
Zubereitung der Canci Checi
Grüne Füllung mit Brennesseln
Das Grünzeug, ganz gleich welcher Art, in heißem Wasser blanchieren und dann im kalten Wasser abschrecken, damit die Farbe schön erhalten bleibt. Anschließend drückt man das Grünzeug gut aus und lässt es abtropfen. Man nehme eine Pfanne mit etwas Olivenöl oder Butter, je nach Geschmack, lässt es leicht zergehen, gibt feingeschnittene Zwiebeln dazu, wenn es einem schmeckt auch ein bisschen Knoblauch und das Grünzeug dazu und man schwenkt es kurz noch mal durch. Abgekühlt jagt man es dann entweder durch die Flotte Lotte oder hackt mit dem Messer fein, in einer Schüssel mit dem Ricotta vermengen, Salz, Pfeffer und Schittlauch einarbeiten bis wir ein homogenes Resultat haben.
Moderne Füllung mit Speck, Zwiebeln und Käse
Den Speck in feinen Scheiben schneiden und dann nochmals in kleine Streifen schneiden. Eine Nuss Butter oder nach Geschmack auch Olivenöl in eine Pfanne geben, leicht erhitzen, die gehackte Zwiebel darin bei niedriger Flamme leicht andünsten, den Speck dazugeben und ganz leicht schmelzen lassen. Das ganze wieder auskühlen lassen und mit dem Ziegenkäse in einer Schüssel vermengen, mit den fein gehackten Kräutern verfeiner, mit Salz und Pfeffer abschmecken. Sollte die Füllung zu zäh sein, kann man ruhig ein oder zwei Löffel flüssige Sahne einarbeiten
Der Teig
Man nehme eine große Schüssel worin man einen Teig verarbeiten kann ohne, dass es überläuft Das Mehl fast zur Gänze einfüllen in einem kleinen Hügel, darin mit der Faust eine Mulde eindrücken, die Hefe hinein bröckeln und mit dem lauwarmen Wasser begießen. Die Schüssel kommt dann zudeckt mit einem Tuch an einer warmen Stelle damit es in ca. ½ Stunde aufgehen kann.Dann kommen die leicht angewärmten Kartoffeln (zwei Minuten in der Mikrowelle ist perfekt) dazu, die Sahne mit Raumtemperatur, Salz, Anis oder Kümmel und ein Ei dazu. Die Zutaten mit den Händen vermengen, (achtung, am Anfang ist es eine sehr klebrige Geschichte) und wenn er dann zusammenhängt, hebt man ihn aus der Schüssel und knetet es noch auf einer bemehlten und nicht zu kalten Oberfläche, ideal ist ein Nudelbrett aus Holz, eine Weile weiter so lange bis eine homogene Masse entsteht. Den Teig zudecken und ca 10 Minuten ruhen lassen.Man schneidet dann ein Stück davon ab, rollt es mit einem Nudelholz auf ca. ½ Zentimeter dickes Blatt aus. Dann benötigt man einen Ausstecher von ca. 5 cm Durchmesser und man schneidet kleine Kreise aus. In der Mitte eines jeden Kreises kommt ein Teelöffel Füllung. Man nimmt den Teigkreis vorsichtig in die Hand, formt es zu einem Halbmond, drückt es zuerst in die Mitte des Ränderhalbkreises leicht an, dann kann man es zwischen Zeigfinger und Daumen fest halten und mit der anderen Hand die Ränder andrücken. Dann kommen die fertigen Cancí auf ein Brett, der mit einem bemehlten Baumwoll- oder Leinentuch bedeckt ist.Man muss dabei bedenken, dass die Cancí auf dem Brett noch einmal aufgehen und deswegen sollte man sie nicht zu nahe aneinander ablegen. Über die Cancí kommt dann nochmal ein Tuch und man lässt sie dann mindestens zugedeckt eine halbe Stunde im Warmen stehen, damit sie nochmals aufgehen. Man benötigt jetzt einen Topf mit Frittierfett, und zwar so viel, dass darin die Cancí schwimmend gebacken werden. Weiter braucht man auch noch zwei Holzlöffel zum Wenden und zum Herausnehmen.Das Fett muss knapp unter dem Rauchpunkt heiß sein, mit großer Sorgfalt lässt man die Cancí ins heiße Fett, mit der Hand sehr Nahe an der Oberfläche einfach rutschen, (bitte nicht einfach hinein fallen lassen, die Gefahr durch heiße Ölspritzer ist einfach sehr groß). Mit den zwei Holzstäben hält man das Öl in leichter Bewegung, damit die Cancí gleichmäßig gebacken werden. Bei goldbrauner Färbung sind sie dann herauszufischen und auf eine Abtropfe zu legen. Am besten schmecken sie gerade ausgebacken, und noch warm, aber auch kalt bleiben sie nie übrig.
Ein ganz wunderbarer Bericht! Er lässt einen direkt an diesem Erlebnis teilhaben. ?Solch Eindrücke muss man sich in Herz und Seele bewahren!